Eltern-Kind-Entfremdung (EKE)

Inhalt

Einleitung
Kinder übernehmen die Gefühle der Eltern
Was wird unter psychischer Kindsmisshandlung verstanden?
Wie lautet die Definition von psychischer Kindsmisshandlung?
Was sind Anzeichen eines entfremdeten Kindes?

Einleitung

Kindeswohlgefährdungen gehören zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Behörden und der beteiligten Professionen. Grundsätzlich muss der Schutz der Kinder auf Unversehrtheit und Anspruch auf Familie gewährleistet sein (Art. 8 EMRK). Eine behördliche Massnahme stellt ein Eingriff in die Familie dar und ist nur dann gerechtfertigt, wenn es im Interesse des Kindes ist. Deshalb haben sich alle am Verfahren Beteiligten nach einem gemeinsamen Grundverständnis und Grundverpflichtungen auszurichten.

Bei einer Trennung oder Scheidung laufen viele Prozesse in der Familie und der am Verfahren beteiligten Personen bewusst und unbewusst ab. Kinder sind auf die Eltern angewiesen. Selten sind diese in der Lage, kindgerecht auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Wenn Emotionen im Konfliktfall mitspielen (wie Schuldgefühle, Wut, Trauer, Enttäuschung u.a.), übertragen sich diese schnell auf das Kind. In vielen Fällen wird eine Trennung oder Scheidung als Bedrohung wahrgenommen vor dem man das Kind schützen will.
Oft wird im Trennungsprozess das Kontaktrecht vom Kind zum anderen Elternteil unterbunden. Meist kommt die Begründung "man wolle das Kind schützen". Der vermeintliche Schutz führt jedoch zum Loyalitätskonflikt für das Kind. Das Kind zeigt widersprüchliche Aussagen bis hin zur Kontaktverweigerung. Es entstehen beim Kind grosse Ängste und Schamgefühle, den verbleibenden Elternteil auch noch zu verlieren. Deshalb passt sich das Kind an, verdrängt oder lässt gewisse Gefühle nicht mehr zu. Verhaltensauffälligkeiten des Kindes in der Familie, seinem Umfeld wie in der Schule sind die Folgen.
Das Bundesgericht wie die heutige Praxis vertritt die Auffassung, dass die gelungene Regelung des Kontakts zum getrennt lebenden Elternteil für das Kind von grosser Bedeutung ist. Dadurch wird unmittelbar die Trennungs- und Scheidungsverarbeitung erleichtert und langfristig die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes gefördert.            

( JOACHIM SCHREINER, in: Scheidung, Schwenzer [Hrsg.], Bd. II: Anhänge, 2. Aufl. 2011, Anh. Psych. N. 182 mit Hinweis auf DETTENBORN/WALTER, Familienrechtspsychologie, 2002, S. 179)

Kinder sollen trotz Trennung der Eltern weiterhin an den Ressourcen von Mutter und Vater teilhaben können, so dass sie von beiden Elternteilen möglichst optimal profitieren können. Ein grosszügig(er) ausgestalteter persönlicher Verkehr ist daher zunehmend verbreitet.

vgl. HILDEGUND SÜNDERHAUF, Wechselmodell: Psychologie - Recht - Praxis, Wiesbaden 2013, S. 46 ff.

Pauschale Besuchsrechtskürzungen sind bei schlechtem elterlichen Einvernehmen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unzulässig. So hätte es der obhutsberechtigte Elternteil doch sonst in der Hand, durch Zwistigkeiten mit dem anderen Teil den Umfang des Besuchsrechts zu steuern. Eine Einschränkung ist lediglich dann angezeigt, wenn das Kind andernfalls überfordert wäre, was indes nicht leichthin anzunehmen ist.

vgl. BGE 131 III 209 E. 4 und 5 S. 211 ff.

Kinder übernehmen die Gefühle der Eltern

Kinder stehen während des Elternkonfliktes im Mittelpunkt. Sie nehmen wahr, wie die Eltern streiten oder sich voneinander abgrenzen und fühlen sich hin- und hergerissen. Sie beobachten und wollen wissen und verstehen, wie und warum Vater und Mutter so miteinander umgehen. Die Wahrnehmung des Kindes erfolgt jedoch nicht immer rational. Oft denken Kinder, dass der Elternkonflikt mit ihrem Verhalten zu tun hat. Es entstehen im Kind Schuldgefühle wie etwa: " Ich bin schuld, dass meine Eltern sich streiten." Besonders sind sie darauf sensibilisiert, wenn sich die Eltern wegen Erziehungsfragen streiten. Wird das Kontaktrecht bei einer Trennung oder Scheidung über längere Zeit (mehrere Wochen) unterbunden, entsteht beim Kind immer ein Loyalitätskonflikt. D.h., dem Kind wird ein Konflikt übertragen, das Kind erlebt widersprüchliche Gefühle. Zum einen möchte das Kind beide Elternteile sehen und zum anderen übernimmt es die Gefühle des Obhutsrechtsinhabers. Das Kind hat Angst, wenn es seine wahren Gefühle zeigt ("ich will aber zu Papi....ich will aber zu Mami"). Je nach Äusserung des Kindes fühlt sich der eine oder andere Elternteil verletzt. Muss ein Kind vor Gericht aussagen, wird von ihm zuviel erwartet. Entsprechend wird das Kind widersprüchlich antworten. An einem Tag kann es diese Aussage machen, einen Tag später eine andere.
Das Kind fühlt sich in einem Loyalitätskonflikt hin- und hergerissen. Ein Loyalitätskonflikt ist Kindsmisshandlung.

Was wird unter psychischer Kindsmisshandlung verstanden?

In der Studie "Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft, wissenschaftlicher Abschlussbericht 2007-2010" werden die Begriffe 'seelische Gewalt' und 'psychische Kindsmisshandlung' als passives Vergehen definiert. Hierzu gehört das Unterlassen oder Vorenthalten von Erfahrungen oder Beziehungen, die für eine gesunde emotionale Entwicklung erforderlich sind. Alle Formen seelischer Gewalt beeinträchtigen die Vertrauensbeziehung zwischen Bezugsperson und Kind und behindern das Kind in seiner geistig-seelischen Entwicklung zu einer autonomen und lebensbejahenden Persönlichkeit heranzuwachsen.
Eggers, C. 1994, Seelische Misshandlung von Kindern. Der Kinderarzt 25, 748-755
Da ihre Auswirkungen nicht sofort, sondern oftmals erst nach Jahren erkennbar werden, ist seelische Gewalt meist schwieriger zu diagnostizieren als körperliche Misshandlung. In ihrer Schwere sind die Folgen und Schäden von psychischer und physischer Gewaltanwendungen aber durchaus vergleichbar.
Früherkennung von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, Diagnostik Fallmanagement und Hilfesystem 2007, 1.3 Seelische Gewalt
Kinder, die längerfristig psychischer Gewalt ausgesetzt sind, reagieren meist zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Zusammenhang verhaltensauffällig (z.B. Schule, Freundenskreis etc.).
 

Wie lautet die Definition von psychischer Kindsmisshandlung?

Ein Auszug von Dr. H. Kindler 2006 "Was ist unter psychischer Misshandlung zu verstehen, besondere Fallgruppen bei psychischer Kindesmisshandlung" legt folgende Definition fest:
Von psychischer Kindesmisshandlung sind unter anderem Kinder betroffen, die wiederholt massive Formen der Partnergewalt in der Familie erleben müssen, sowie Kinder, die nach einer Trennung der Eltern gezielt der Entfremdung von einem Elternteil ausgesetzt sind. Bei Kindern, die chronischen Scheidungskonflikten ausgesetzt sind, verzeichnen häufig zusätzliche Problematiken wie:
- Entfremdung/Kontaktabbruch zu einem Elternteil
- Beeinträchtigungen in der Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung
Diese stellen schwerwiegende Entwicklungsbeeinträchtigungen dar, wobei mit der Dauer der Elternkonflikte eine Remission dieser Symptomatik weniger wahrscheinlich wird. Bei diesen Kindern ist folglich eine dauerhafte psychische und physische Belastung (durch die Entwicklung psychosomatischer Störungen) wahrscheinlich - zudem eine dauerhaft verminderte Kompetenz bei der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen.

Was sind Anzeichen eines entfremdeten Kindes?

Kinder, die unter einer Entfremdung leiden, zeigen mannigfaltig Anzeichen. Oft können sie dem entfremdeten Elternteil gegenüber keine konkreten oder nur diffuse Vorwürfe machen. Um den Entfremdungsgrad zu bemessen, kann aus der sozialwissenschaftlichen Literatur bezüglich EKE folgendes entnommen werden:
  • Hass und Abwertung eines Elternteils durch das Kind
  • Schwache, absurde oder alberne Begründungen für diesen Hass und diese Abwertung
  • Fehlen der üblichen Ambivalenz gegenüber dem entfremdeten Elternteil
  • Starkes Bestehen des Kindes darauf, dass es allein seine Entscheidung war, einen Elternteil abzulehnen
  • Reflexartige Unterstützung des bevorzugten Elternteils während des Sorgerechtsstreits
  • Fehlen von Schuldgefühlen bezüglich des Verhaltens gegenüber dem entfremdeten Elternteil
  • Gebrauch von Redewendungen und Szenarien des bevorzugten Elternteils
  • Abwertung nicht nur des entfremdeten Elternteils, sondern auch von dessen Familie und Freunden
Wikipedia
Ein Beispiel zeigt dieses You-Tube Video:
   
Der Zeitfaktor ist wesentlich, da die tiefgreifende Symptomatik zu einem chronischen Leiden werden kann. Experten verlangen die sofortige Wiederherstellung eines angemessenen Kontaktes zum anderen Elternteil, in schweren Fällen wird ein Sorgerechtswechsel empfohlen. Sollte der entfremdende Elternteil eine Kooperation verweigern, müssen die notwendigen Massnahmen von Behörden bzw. vom Gericht durchgesetzt werden (Dr. Dietmar Payrhuber, 2015 in: Das Eltern-Entfremdungssyndrom PAS als eine Sonderform des Kindesmissbrauchs "Emotionale Gewalt").